Eine hoch dekorierte Veranstaltung sollte das von der vermeintlichen „Demo für Alle“ organisierte Symposium am 6. Mai in Wiesbaden werden. Aufgetreten sind dort allerdings Redner, die vor allem das streng religiöse Weltbild der „Demo für Alle“ teilen und mitunter auch eine „Therapie“ von Homosexualität für möglich halten, wie etwa der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Christian Spaemann aus Österreich. Für ihn hat Vielfalt keinen Wert für die Gesellschaft. Von Christian Maluck.
Begriff Vielfalt taugt nicht für die Gesellschaft
Nicht weniger als „die Wurzeln, Argumente und Methoden der Sexualpädagogik der Vielfalt“ sollten bei dem Symposium der angeblichen „Demo für Alle“ am 6. Mai im Wiesbadener Kurhaus betrachtet und „einer kritischen Prüfung aus verschiedenen Perspektiven“ unterzogen werden. Natürlich alles streng wissenschaftlich. Kritik an den getroffenen Aussagen erübrige sich bei all der Wissenschaftlichkeit da ja schon so gut wie von selbst, könnte man meinen – und erscheint vor dem Hintergrund der Aussagen vermeintlich seriöser Wissenschaftler ja schon als geradezu unqualifiziert. Doch bei genauem Hinsehen stellte sich bei dieser Veranstaltung genau das heraus, was von vorne herein schon befürchtet worden ist, auch wenn die „Demo für Alle“ jegliche Kritik empört zurückweist und auch schon wieder in einem Newsletter zum Protest gegen unliebsame Medienberichte aufgerufen hat:
Hier kamen berühmt-berüchtigte Wissenschaftler zu Wort, die in erster Linie das christlich-fundamentalistische Weltbild der „Demo für Alle“ teilen und ihren Status als Wissenschaftler dazu genutzt haben, ihren Aussagen eine entsprechende Seriosität zu verleihen – zu Unrecht, wie sich immer wieder zeigt.
Ein solcher „wissenschaftlicher“ Beitrag kam – als Video eingespielt – auch von dem katholischen Pschiater und Psychotherapeuten Dr. Christian Spaemann aus Österreich.
Spaemann ätzt auch sonst gerne gegen die Akzeptanz von LGBTI. In einem anderen Video sieht er in dem Begriff „sexuelle Vielfalt“ etwa Euphemismus, mit dem etwas beschönigt werde. Für die Gesellschaft könne dieser „eigentlich nicht taugen“.
Vielfalt bedeutet „menschliches Leid“
Mit der Vielfalt der Lebensformen werde „menschliches Leid – und Leid der Kinder vor allem auch – unter den Teppich kehrt“, weil die Menschen, die hinter der sog. Vielfalt der Lebensformen steckten, häufig mit Brüchen in der Lebensgeschichte verbunden seien. Kinder wünschten sich aber Stabilität – nicht „gebrochene Familien“. Niemandem sei also damit geholfen, so ein Leitbild der sexuellen Vielfalt aufzustellen. – Der Therapeut Dr. Spaemann will bei (angeblichem) Leid also auch nicht helfen, sondern es verurteilen. Die „Brüche in der Lebensgeschichte“, gemeint sein dürften hier vor allem auseinandergebrochene verschieden geschlechtliche Beziehungen, in der ein/e PartnerIn seine/ihre sexuelle Identität unterdrückt hat, sind ja erst eine Folge der nach wie vor allgegenwärtigen Diskriminierung.
Auch einer Frau sei nicht geholfen durch das „Leitbild der sexuellen Vielfalt“ – das heißt also keine Diskriminierung von Schwulen und Lesben –, wenn sie einen Partner habe, „der mit ihr das Bett teilt und zusätzlich noch regelmäßig irgendwelche einschlägigen homosexuellen Saunen besucht“. So werden aus Hass, Vorurteilen und Ressentiments vermeintlich wissenschaftliche Aussagen und aus den Folgen von Diskriminierung und Ausgrenzung auch noch Vorwürfe konstruiert, die offensichtlich der Legitimierung weiterer Diskriminierung dienen sollen.
Spaemanns Videobeiträge werden auch auf dem Medienportal kathtube veröffentlicht, das von der katholisch-fundamentalistischen Seite kath.net betrieben wird, von der etwa Markus Kremser, Pressesprecher des Bistums Augsburg, 2012 schrieb, dass dort regelmäßig Leute kommentierten, „die dem rechtsradikalen Spektrum nahe stehen“ (Quelle).
Berühmt-berüchtigter „Wissenschaftler“
Auch an anderer Stelle taucht der religiöse Psychiater und Psychologe, der in Österreich eine Praxis für „seelische Gesundheit“ betreibt, auf: Er gehört auch zum „wissenschaftlichen Beirat“ des sog. „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft“, (DIJG) eine von der evangelikalen „Offensive Junger Christen“ betriebene Webseite, die vor allem auch mit LGBTI-feindlichen Inhalten aufwartet und etwa vor den Gefahren „praktizierter Homosexualität“ – und damit Jugendliche auch vor einem Coming-Out – warnt und Möglichkeiten zur „Therapie“ von Homosexualität erörtert. Auch andere „Wissenschaftler“ auf die sich die sog. „Demo für Alle“ immer wieder bezieht, um gegen die Akzeptanz von LGBTI zu kämpfen, sind beim DIJG engagiert, so beispielsweise Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz oder Prof. Dr. Manfred Spieker. Letzterer kam bei dem Symposium in Wiesbaden ebenfalls zu Wort.
Vielfalt hat keinen Wert für die Gesellschaft
Das zeigt deutlich, wo Wissenschaftler, die die „Demo für Alle“ einlädt, in Wahrheit hin wollen, wenn etwa einerseits davon gesprochen wird, dass die der Begriff Vielfalt – hier geht es um die Anerkennung als gleichwertig – für die Gesellschaft keinen Wert hätte, man die „gesellschaftliche Bedeutung von Homosexualität“ offen diskutieren möchte und Homosexualität für „therabierbar“ hält.
Dr. Spaemann will Homosexualität „therapieren“
Immer wieder, berichtet kath.net über Dr. Spaemann, suchten „homosexuell empfindende Menschen seinen Rat, die ihre Orientierung verändern wollen“. Auch Angst vor AIDS könne dabei eine Rolle spielen – als wären HIV und AIDS ein rein homosexuelles Problem. „Die Möglichkeit der dauerhaften Veränderung der sexuellen Orientierung ist inzwischen wissenschaftlich mehrfach belegt worden.“, behauptet Spaemann dreist, weshalb er sich dafür auch eine Kassenfinanzierung wünscht. – Und wo wir gerade dabei sind: Wenn die Wissenschaft „heilen“ kann, warum dafür irgendwann nicht auch noch Gesetze fordern, die die Durchführung von entsprechenden „Therapien“ erleichtern oder gar verlangen?
Einmal davon abgesehen, dass solche „Therapie“-Versuche – wissenschaftlich bewiesen – vollkommener Unsinn sind, sind sie auch sehr gefährlich. Es gibt ja auch keinen Grund dafür, Homosexualität zu „therapieren“: Menschen leiden ja nicht unter ihrer Homosexualität, sondern unter der Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Identität.
Vielfalt – Missbrauch – Pädophilie
In seinem Video-Beitrag für das Symposium der sog. „Demo für Alle“ mühte sich Spaemann also ab – neben der Kritik an Kondomen –, von der im Bildungsplan vorgesehenen Förderung der Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuellen und der dahinter steckenden „Sexualpädagogik der Vielfalt“ einen Bogen zu sexuellem Missbrauch und Pädophilie zu spannen:
Angesichts der Empfindlichkeit der Kinder gegenüber sexuellen Übergriffen erscheine es „berechtigt und nachvollziehbar“, „gewisse Praktiken der Sexualerziehung als grenzüberschreitend und missbräuchlich anzusehen“, behauptet Spaemann. Grund für diese Annahme seien die „erschütternden“ Zeugnisse der Eltern nach „solchen Unterrichtseinheiten“. Was Spaemann damit meint, lässt er offen. Diffuse Andeutungen reichen für die geneigte Zielgruppe offenbar aus, um in Hysterie zu verfallen. Zu oft sind entsprechende Falschbehauptungen wiederholt worden, dass etwa Kinder beim Sprechen über LGBTI mit sexuellen Praktiken, Pornografie oder Sexspielzeugen konfrontiert würden. Als „Beleg“ für diese „erschütternden“ Zeugnisse muss ein vor Jahrzehnten vom Markt genommenes Aufklärungsbuch von Prof. Uwe Sielert herhalten (s. dazu: Halbwahrheiten, Lügen, Manipulationen) und ein Verweis auf den längst verstorbenen Sexualwissenschaftler Helmut Kentler (s. dazu: Missbrauch unter staatlicher Obhut).
Masturbationsräume im Kindergarten
Überhaupt würden die sexuellen Empfindungen der Kinder durch die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ aus seiner Sicht „überbewertet“. In Kindergärten sollten eigene Räume für Doktorspiele und Masturbation eingerichtet werden, behauptet Spaemann weiter – obwohl dies nicht der Wahrheit entspricht. „Wer, außer einem pädophil empfindenden, hat ein Interesse daran, dass Kinder sexuell erregt werden?“, stellt er anschließend in den Raum. – Eine Mutmaßung muss also direkt eine voran gegangene Behauptung stützen. – Wenn Kindern ein Körpergefühl vermittelt werde (was fühlt sich gut an, was nicht), stellt sich für Spaemann dann auch die Frage, ob nicht gerade das Missbrauch Tür und Tor öffne.
Jetzt stellt sich erneut die Frage, warum ausgerechnet diejenigen, die angeblich Kinder vor Sexualität und Sex „schützen“ möchten, diesbezüglich immer besonders abstruse Vorstellungen in den Raum werfen und warum vor allem Religiöse, die angeblich nichts von Sex wissen wollen, am meisten von den wirrsten Vorstellungen in diese Richtung sprechen und daraus dann Vorwürfe gegen andere formulieren, wenn es hier nicht bloß um pure Hysterie geht.
Ohnehin sieht Dr. Spaemann die Sexualpädagogik der Vielfalt in einem Spannungsverhältnis zu religiösen und kulturellen Wertevorstellungen. – Sicher, um letztere geht es hier ja auch, nicht in erster Linie um Kinder.
Eigenständiges Kind unerwünscht
Und auch der Verweis auf die Missbrauchsprävention der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ diene lediglich der Beruhigung, so Spaemann. Die„Sexualpädagogik der Vielfalt“ wolle die Autonomie des Kindes stärken („Kinder sollen lernen, sich zu wehren“), was keinen wirksamen Schutz biete, behauptet Spaemann. Er will eine Missbrauchsprävention, bei der die Aufsichtspflicht der Eltern im Vordergrund stehe. Auch hier geht es also wieder um die Gewalt über das Kind, nicht um seine Eigenständigkeit.
Diese Aussagen erscheinen als besonders absurd, da nachweislich die meisten Fälle von Missbrauch vom unmittelbaren familiären Umfeld eines Kindes ausgehen, meist vom eigenen Vater, weshalb dieses Thema gerade nicht ausschließlich ins Private verlagert werden darf (s. dazu: Kindesmissbrauch in der Familie: Sexuelle Gewalt ist keine „Privatsache“).
Was wünscht sich Herr Dr. Spaemann?
Nach dem Willen des als Wissenschaftler dargestellten Dr. Spaemann sollten – entsprechend den Vorstellungen vieler Geistlicher in der katholischen Kirche – abstinenz- und treueorientierte Programme propagiert werden, statt sexuelle Vielfalt und der Gebrauch von Kondomen.
Moment mal …
Wir erinnern uns noch einmal kurz: Es ging eigentlich lediglich darum, dass im hessischen Bildungsplan die Akzeptanz von LGBTI als gleichwertige Menschen als Lernziel verankert ist, wogegen die „Demo für Alle“ auf die Barrikaden geht. So kann man ein Thema auch zerreden und Menschen ganz bewusst mit Desinformation und verwirren und verunsichern.
Diese Veranstaltung war sicherlich vieles, mit seriöser Wissenschaft hatte sie allerdings erkennbar wenig zu tun. Gesprochen wurde hier in erster Linie im Sinne religiöser Überzeugungen, denen, wie auch hier eindrucksvoll zu sehen ist, zu Unrecht ein wissenschaftlicher Anstrich verliehen wurde. Eine wissenschaftliche Veranstaltung hätte auch einer anschließenden Diskussion bedurft. Doch die fehlte. Sie wäre auch alleine schon aufgrund des Aussiebens der Gäste – bekannte Kritiker der „Demo für Alle“ standen nach unserer Information auf einer Namensliste und wurden am Eingang abgewiesen – auch gar nicht sinnvoll möglich gewesen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen in der Presse gehört für seriöse Wissenschaftler selbstverständlich ebenfalls zum Diskurs.
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